Spatium - Zeichnungen und Papierschnitte

Wie entsteht die Illusion von Raum in einer Zeichnung? Was ist eigentlich eine Linie in einer Zeichnung? Und was ist ihre Entsprechung in der Realität?

Sandra Kühne und Jeroen Geel beschäftigen sich in ihren Werken mit Fragen zur Konstruktion des Raumes durch die Blicke der BetrachterInnen und seine Darstellung in der Zeichnung. Sie gehen diesen Themen mittels unterschiedlicher Vorgehensweisen nach, dennoch weisen ihre Arbeiten in der Auseinandersetzung mit Zeichnung und Raum immer wieder Parallelen auf.

Jeroen Geel beginnt beim Raum der ihn täglich umgibt: der Blick auf den Küchentisch, die Aussicht vom Balkon auf die Strasse, die Baustelle vor seinem Haus. Raum ist überall und Geel stellt für jede seiner Studien neue Regeln auf, nach denen er vorgeht, um unsere Sehgewohnheiten auf spielerische Weise in der Zeichnung zu untersuchen.

Mal folgt Geel mit dem Zeichenstift ausschliesslich allen senkrechten Linien, die sich ihm im gewählten Ausschnitt zeigen. Verwinkelte Striche, ähnlich dem suchenden Blick des Betrachters, lassen einzelne Raumelemente auftauchen, eine Hausecke vielleicht, ein Laternenpfahl? Mal zeichnet Geel nur die Durch-blicke, die sich durchs Geäst eines Baumes ergeben und sich wie Inseln auf dem Papier zeigen. Oder Geel nutzt die Absperrungen, die den Blick vom Hochsitz ins Land hinaus erschweren, als entscheidendes Element, um räumliche Nähe und Distanz zu thematisieren. Doch der Künstler geht auch weiter, er spielt mit den Perspektiven, vertauscht auf dem Küchentisch vorne und hinten, manipuliert Kreuzungspunkte und stellt so gewohnte Sehweisen infrage.
Denn, wie sehen wir eigentlich?

Der Blick, ein für uns vermeintlich verlässliches Instrument um Dinge einzuordnen, geschieht nicht nur durch das Auge, das Gehirn arbeitet stets mit. Wir bewegen uns beim Schauen und tasten mit dem Blick unablässig den Raum ab, orientieren uns an verschiedenen Punkten, sehen Farben und Formen und setzen sie zu Raum zusammen.

Jeroen Geel und Sandra Kühne versuchen, diese be-wegliche Form des Schauens auch im Bild zu verfolgen, sie durchbrechen die starren Regeln der vermeintlich realistischen Darstellung von Raum. Die Zentralper-spektive, die sich mit der Renaissance und später durch die Fotografie als die einzig wahre Raumdarstellung durchgesetzt hat, erscheint nicht mehr passend, wenn wirklich geschaut wird und nicht bereits gewusst.

Auch Sandra Kühne beschäftigt sich mit dem Raum der sie täglich umgibt. Auf grossen Papierbögen zeichnet sie räumliche Konstellationen ihres Ateliers und bearbeitet sie weiter zu linearen Papierschnitten, die sie wiederum in den Raum hängt. Der Atelierraum tritt so in Korrelation mit dem Ausstellungsraum.

Was geschieht dabei mit der Zeichnung des Raumes? Durch die erlangte Skulpturalität erlaubt sie neue Möglichkeiten der Ansicht, Durchsicht, die Umkrei-sung durch die BetrachterInnen. Gleichzeitig wird sie abstrakt, durch die Schwerkraft fallen Linien aus dem Geflecht heraus, werden verzerrt und undeutlich, partiell bleiben Teile der abgebildeten Gegenstände sichtbar, eine Lampe, ein Computer vielleicht? Je nach Blickwinkel und Positionierung eröffnen sich neue Aspekte. Die fragilen Striche aus Papier bewegen sich stets leicht im Luftzug, vergleichbar mit der suchenden Linie des Zeichenstifts, als würde die Künstlerin unablässig über uns BetrachterInnen hinwegskizzieren.

Für Sandra Kühne bedeutet Raum und Architektur denn auch nichts Statisches. Bereits in früheren Arbeiten beschäftigte sie sich mit der Abbildung von Raum durch die Bewegung: Sie kartografierte ihre Spaziergänge auf den Fjorden der Antarktis in verwinkelten schwarzen Linien, als würde sie mit dem Körper den Raum abtasten. Sie zeichnete die Expeditionsrouten von Forschern an Süd- und Nordpol nach oder die Verläufe von Flüssen und Grenzlinien. Stets umgesetzt mit der Technik des Papierschnitts, dessen Fragilität und Beweglichkeit den Inhalt ihrer Arbeiten unterstreicht.

Das Konstruieren von Raum durch die Zeichnung führt Kühne und Geel schliesslich auch zu kurzen spielerischen gemeinsamen Zeichnungen: Durch selbst gestellte Regeln habe die Beiden ein Set von Zeichnungen geschaffen, die im Fanzine zur Ausstellung nun versammelt sind.

Laura Sennhauser